Begleite Fortsetzungsromane bei ihrer Entstehung!
 
< 8 Chance


9 Suche

 Am nächsten Morgen erwachte ich, noch bevor ich in meinem Zelt einen aromatischen Saunaaufguss hätte machen können. Der Rest des Abends war entspannt verlaufen. Wir hatten noch Cocktails an der Bar, wo auch Stella und Dave mit Dion ins Gespräch gekommen waren. Die beiden waren schließlich aus ihren individuellen Gründen schrecklich neugierig auf ihn gewesen und nun hatte ich den Eindruck, dass sie ihn mochten. Angesichts meiner bevorstehenden Unternehmungen beruhigte mich das ein bisschen. Ich würde also nicht komplett von vorne anfangen müssen.

Als ich aus dem Zelt kroch, saß Dave in einem der Campingstühle und war mit seinem Smartphone beschäftigt. Neben ihm stand ein kleiner Plastikteller mit einem halb verspeisten Leberwurstbrötchen, auf dessen anderer Hälfte er gerade noch genüsslich herumzukauen schien. Daneben unsere obligatorische eiskalte Flasche Wasser, in der auch nur noch ein Spuckschluck enthalten war. Quasi für mich die unausgesprochene Aufforderung, sie jetzt zu leeren.
"Guten Morgen, Bruderherz", flötete ich gutgelaunt, setzte an und trank. In dem Moment rasselte Daves Faust auf den Tisch, während er mich diabolisch angrinste.
"Yes! Du hast sie leergetrunken, also holst du eine neue Flasche!"
Völlig fassungslos starrte ich zuerst die leere Wasserflasche in meinen Händen an, dann meinen triumphierenden Bruder. Seufzend gab ich nach. Auf dem Weg ins große Zelt drehte ich mich erneut zu Dave um und warf ihm treffsicher die leere Plastikflasche an den Schädel. Pock - das hatte er davon, wenn er meinte, mich derart verkohlen zu müssen.
"Verdammt, ich hab dir zu viel beigebracht", fluchte er und rieb sich die Stelle, an der ich ihn getroffen hatte. Als Wiedergutmachung brachte ich uns beiden frischen Kaffee nach draußen, zusammen mit der neuen Wasserflasche, die ich mir unter den Arm geklemmt hatte.
Wo ist Stella?, wollte ich wissen. Im Zelt hatte ich sie nicht gesehen, also musste sie auch schon auf sein. Dave biss herzhaft in sein Brötchen, fast so, als hätte er seit Tagen nichts mehr gegessen. Guter Witz! Dass er gestern nicht Aaron gebeten hatte, ihm die Reste vom Buffet einzupacken, war alles gewesen.
"Sie wollte zum Strand und den Sonnenaufgang fotografieren", erwiderte er kauend und spülte mit Kaffee nach. "Das ist allerdings schon eine ganze Weile her", bemerkte er nachdenklich.
Ich hob scheinbar gleichgültig die Schultern, aber so ganz sicher war ich mir der Sache auch nicht. "Vielleicht hat sie sich ja noch ein bisschen in die Sonne gelegt und genießt die Ruhe?"
Dave checkte erneut seine verpassten Anrufe, aber Stellas Nummer war nicht dabei. "Pff, das glaubst du doch selbst nicht. Stella und Ruhe, zwei Galaxien treffen aufeinander!"
Ich wusste genau, was Dave meinte. Ihre Energie konnte manchmal wirklich anstrengend sein, aber genau dafür liebten wir sie eigentlich auch. So wurde es nie langweilig mit ihr. Sie zwang uns regelmäßig, den Allerwertesten hochzubekommen und unsere gemütlichen Komfortzonen zu verlassen. Auch dieser Urlaub hier war natürlich auf ihrem Mist gewachsen. In aller Sorgfalt hatte sie sich zuvor durch das Internet gewühlt und lokale Sehenswürdigkeiten herausgefischt, sodass wir mit einer prallvollen Aktivitätenliste hier angereist waren. Dass sie manchmal kleinere Unternehmungen wie eben die heute Morgen allein machte, kam auch regelmäßig vor. Aber dann blieb sie entweder nicht lange weg oder meldete sich zwischendurch irgendwie. Daher hatten Dave und ich durchaus berechtigte Gründe, uns Gedanken zu machen.
Nachdenklich rührte ich in meinem Kaffee herum. "Hast du sie schon versucht zu erreichen?", fragte ich meinen Bruder, der noch immer sein Handy anstarrte.
"Ich hab ihr eine Nachricht geschrieben, aber offensichtlich kam die nicht durch. Ich ruf sie jetzt an." Während er sich das Smartphone ans Ohr hielt, blickte er geradeaus ins Leere. Nur wenige Sekunden später warf er das Gerät auf den Tisch und stand auf.
"Direkt die Mailbox. Da stimmt etwas nicht. Ich gehe sie jetzt suchen."
Ich nickte zustimmend, schnappte mir die Wasserflasche und hastete Dave hinterher, der mit großen Schritten auf den Pinienwald zulief.
Das Meer war heute sehr unruhig. Die Wellen brachen donnernd auf dem Sand zusammen und der weiße Schaum kletterte weit den Strand hinauf. Die mutigen Badegäste hatten sich mit ihren Sonnenschirmen und Picknickdecken nah an den Rand des Waldes zurückgezogen und nur wenige gute Schwimmer trauten sich ins Wasser.
"Da!"
Dave deutete mit ausgestrecktem Finger auf den Hochsitz mitten auf dem Strand, an dem seitlich Rettungsring und -boje befestigt waren. Der Rettungsschwimmer saß mit dem Rücken zu uns in seine rote Windjacke gewickelt im Stuhl und blickte sich mit dem Fernglas vor den Augen aufmerksam um. Als er erkannte, dass wir sichtlich aufgeregt auf ihn zueilten, erhob er sich direkt und kletterte die kurze Leiter hinunter. Bei ihm angelangt fiel mir erstmal alles aus dem Gesicht, als ich realisierte, wer da gerade vor uns stand.
Seine Locken wehten ihm wild um den Kopf und seine braunen Augen verdunkelten sich sorgenvoll.
"Franka, was ist los?" Ich ergriff haltsuchend seine beiden Hände, die er nach mir ausgestreckt hatte.
"Angelo...", begann ich, aber meine Stimme brach mir weg. Ich war inzwischen paranoid geworden und hatte unglaubliche Angst um Stella. Auf dem Weg durch den Wald hatte Dave wiederholt ihre Nummer gewählt, aber das Ergebnis war das gleiche geblieben. Da aus mir sowieso nichts herauszukriegen war, verbarg Angelo mich in seinen Armen und schaute über meinen Kopf hinweg Dave an.
"Stella wollte den Sonnenaufgang fotografieren, ist aber noch nicht wiedergekommen", berichtete er. "Wir können sie seitdem auch nicht mehr erreichen."
Angelo nickte, hielt mich weiter mit einem Arm ganz fest, was mich gerade davor bewahrte, völlig den Verstand zu verlieren, und löste mit der anderen Hand ein Funkgerät von seiner Jacke. "Ich rufe Ersatz für mich, dann suchen wir gemeinsam weiter", teilte er uns mit und funkte seine Einsatzleitung an. Er schien in aller Kürze die Lage zu schildern, denn er sprach pfeilschnell, wartete kurz eine Antwort ab und endete mit einem entschlossenen "Va bene, grazie!" Keine zwei Minuten später winkte ihm aus der Ferne ein ebenfalls in leuchtend rote Jacke gekleideter junger Mann entgegen, der auf den leeren Hochsitz zujoggte.
"Wir können los", verkündete er und steuerte mit uns den Teil des Strandes an, den wir alle noch nicht besucht hatten.
Suchend blickten wir immer wieder zwischen Pinien und Wasser hin und her, manchmal riefen wir auch Stellas Namen. Dass sie uns allerdings bei dieser Brandung hören konnte, bezweifelte ich. Der Wind blies mit wechselhaft starken Böen in unsere Gesichter und ließ uns zwischendurch die Luft wegbleiben. Es war so unangenehm und ich hätte am liebsten kehrtgemacht, aber es ging hier um meine beste Freundin. Für sie würde ich nicht nur sprichwörtlich durchs Feuer gehen.
Wir hatten uns über die gesamte Breite des Strandes verteilt. Dave lief hoch oben direkt an den Pinien entlang und versuchte, Stella möglicherweise irgendwo dort im halblichten Unterholz auszumachen. Ich hatte mir die Mitte vorgenommen und schickte meinen Blick wie beim Tennis zwischen Dave und Angelo hin und her, um nicht zu verpassen, wenn einer von ihnen etwas entdeckte. Angelo lief mit seinen Wasserschuhen durch die schaumige Brandung und spähte mit seinem Feldstecher das Wasser und den vor uns liegenden Strandabschnitt aus.
Mit einem Mal winkte er heftig und ich brüllte den in der anderen Richtung suchenden Dave an, dass wir hinunter zum Wasser müssten. Meine Panik hatte mittlerweile ihren absoluten Zenit erreicht und ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Wenn Angelo Stella jetzt bei diesem Wellengang im Wasser entdeckt hatte, gab es dann noch Grund zu hoffen?
"Alles gut! Beruhige dich, Franka", versuchte es Angelo, als wir bei ihm anlangten.
"Wo ist sie, verdammt?", schrie ich nur, denn ich sah beim besten Willen im Wasser einfach gar nichts. Angelo deutete nach vorne, wo wir in der Ferne eine Art Mauerformation entdeckten, die strahlend weiß tief ins Wasser hineinreichte.
"Das sind Marmorblöcke, die hier am Strand als Wellenbrecher benutzt werden", erklärte Angelo. "Die Marmorindustrie kann sie nicht verwerten zur Weiterverarbeitung, also landen sie hier. Hat Stella heute Morgen rote Flipflops getragen?" Dave nickte heftig und blickte zum Horizont.
"Von dort hat sich ihr bestimmt ein faszinierendes Bild von der aufgehenden Sonne geboten. Ist sie vielleicht auf die Marmorblöcke gestiegen und mit ihren bloßen Füßen abgerutscht?"
Angelo hob die Schultern und betrachtete erneut das Stillleben der roten Badeschlappen vor dem leuchtend weißen Marmor durch sein Fernglas.
"Was stehen wir hier noch rum?", heulte ich und rannte los. Wie konnten die beiden Jungs nach diesem vielversprechenden Hinweis auf Stella noch so ruhig bleiben? Während ich mich mühsam durch den weichen, unter jedem Schritt nachgebenden Sand kämpfte, betete ich, dass Stella vielleicht wirklich nur die Zeit vergessen und ihr Handy abgeschaltet hatte. Auch wenn das sowas von untypisch für sie war.
"Stella, wo bist du?" Ich konnte sie nach wie vor nirgends sehen und begann, ohne Sinn und Verstand auf den riesigen, nach Verschwendung anmutenden Marmorfelsen herumzuklettern. Bis Angelo und mein Bruder nachgekrochen kamen - was anderes fiel mir für die lahmen Schnecken gerade echt nicht ein -, war ich schon oben auf dem Wellenbrecher angelangt und konnte nun direkt einsehen, was hinter dem weißen Geröll lag.
Dort saß Stella auf dem nassen Sand, wurde hin und wieder von aufkletterndem Schaum umspült und hielt krampfhaft ihr Handy in der Hand. Ein Bein hatte sie ausgestreckt, das andere angewinkelt und die lange rote Sportleggings bis zum Knie aufgekrempelt.
"Verdammt, verdammt, verdammt! Hoffentlich kommen sie bald. Lange kann ich hier nicht mehr sitzen. Gott, mir ist so kalt!"
Stella versuchte, irgendwie auf die Füße zu kommen, indem sie sich mit den Händen im Sand abstützte und hochdrückte. Aber nach wenigen Zentimetern gab sie vor Frust schreiend auf.
"Stella, Gott sei Dank! Wir sind hier", schrie ich gegen den tosenden Wind und die donnernden Wellen an. Stella fuhr herum und erblickte mich, wie ich erleichtert zu ihr hinunterhastete. Die beiden Jungs stellten es geschickter an und liefen um den langen Wellenbrecher herum, sodass wir alle gleichzeitig bei ihr ankamen.
"Franka, um Himmels Willen, bist du irre? Du hättest dir was brechen können", schimpfte Stella. War das gerade ihr verfluchter Ernst? Wer von uns beiden saß hier schließlich frierend mit nassem Hintern herum und kam offenbar seit Stunden nicht weg? Kleiner Tipp: nicht ich! Zur Abwechslung mal.
"Halt doch die Klappe!", rügte ich sie und warf mich nun vor Erleichterung heulend in ihre Arme.
"Was ist passiert, Schatz? Wir haben uns echt Sorgen gemacht." Dave nahm das Gesicht seiner Freundin in beide Hände, nachdem ich sie freigegeben und ihr Handy eingesteckt hatte. Das Display wie einen hoffnungslosen Fall der Spider-App auf: in tausend Kleinteile zersprungen und vom Salzwasser zerstört. Das Ding war total hinüber.
"Ich wollte die Sonne aus einem bestimmten Winkel einfangen, also bin ich barfuß für ein besseres Trittgefühl hier auf die Steine geklettert. Von hier sah das zusammen mit den Pinien und dem Schattenspiel einfach unglaublich aus. Als dann das Wasser so hochschoss, hab ich mich erschrocken und wollte mich festhalten. Dabei ist mir das Handy auf die Steine geknallt, ich bin abgerutscht und seitdem kann ich nicht mehr auftreten." Während Dave ihr zunächst tröstend über den Kopf strich, sie liebevoll küsste und anschließend ihren Knöchel untersuchte, wandte sie sich an Angelo und mich.
"Es tut mir so Leid, ich wollte euch keine Angst einjagen. Angelo, interessanter Kleidungsstil!", bemerkte sie und grinste schief.
"Tja, jetzt habt ihr wohl das Geheimnis gelüftet, was ich hier regelmäßig zu suchen habe", witzelte er mit. "Im Sommer verdiene ich mir so noch etwas dazu, wenn meine Eltern mich nicht bei der Melonenernte auf dem Feld brauchen."
Franka hob interessiert die Augenbrauen und warf mir einen vielsagenden Blick zu, der mich nur wieder innerlich die Augen verdrehen ließ.  "Oh, davon musst du uns unbedingt mehr erzählen! Wenn wir hier weg sind und ich mich in zehn Decken gewickelt habe."
Wir alle warteten auf Daves vorläufigen Untersuchungsbericht.
"Die kleine blutige Schramme ist nicht so schlimm", meinte er. "Aber wir müssen trotzdem ins Krankenhaus fahren. Wenn du nicht auftreten kannst, könnte es ein Bänderriss sein." Stella und ich seufzten gleichzeitig und schienen uns beide zu fragen, was diese Diagnose für unseren Urlaub bedeuten würde, sollte sich der Verdacht bestätigen. Doch sehr weit kamen wir mit unseren beunruhigenden Gedanken nicht, denn Angelo griff wieder zu seiner Funke.
"Ich besorge uns einen Jeep, damit wir hier wegkommen." Er drehte sich etwas abseits, damit die starken Böen die Kommunikation mit der Einsatzleitung nicht beeinträchtigten. Ich unterstützte meinen Bruder dabei, Stella vorsichtig auf den gesunden Fuß hochzuziehen und band ihr Angelos Windjacke um die Hüften, die er mir reichte. Als das Auto erschien, hob Dave seine verletzte Freundin auf den Beifahrersitz und sprang dann zu Angelo und mir auf die Ladefläche auf. So rauschten wir leicht hüpfend über den Strand zurück zum Hochsitz, wo Angelo uns verließ und seine Badeaufsicht fortsetzte. Dann bahnte sich der Jeep vorsichtig seinen Weg durch den Pinienwald, um uns direkt am Zeltplatz abzusetzen.

Am späten Abend saßen wir drei etwas bedrückt in unseren Campingstühlen, hörten einer Weile dem Zirpen der Zikaden zu und starrten stumm in die Flamme der Zitronellaschale, die wir zur Abwehr von Stechmücken auf den Tisch gestellt hatten. Aus dem großen Zelt drang leise entspannte Popmusik und Dave hatte uns allein ein Glas Weißwein eingeschenkt.
Den Nachmittag hatten wir gemeinsam im Krankenhaus zugebracht, wo Dave mit dem freundlichen Dottore auf Englisch gefachsimpelt und dieser schließlich nach diversen Bildgebungen die Verdachtsdiagnose bestätigt hatte. Mit einem dicken Tape um Stellas Fuß und dem motivierenden Hinweis, dass nach sechs Wochen Schonung alles wieder in Ordnung sein würde, verließen wir das kleine Ospedale. Bei der Gelegenheit erstanden wir noch ein neues Smartphone für Stella, was zwar ein empfindliches Loch in unsere Urlaubskasse riss, aber - und da waren wir uns alle einig - ein zwingend notwendiges Opfer war.
Nun seufzte Dave und spielte mit zwei Fingern am Stiel seines Weinglases herum. "Dann können wir ja morgen zusammenpacken und nach Hause fahren", warf er in die Runde. "Schade, nach den paar Tagen schon..."
"Hast du Klebstoff geschnüffelt?", unterbrach Stella ihren missmutigen Freund. "Wir haben und alle so sehr auf diese Reise gefreut. Wir blasen doch jetzt nicht alles ab!"
"Aber du kannst doch nichts mehr mitmachen, Schatz. Wir hatten so viel vor, wollten uns Städtchen ansehen, shoppen gehen, gemütliche Strandtage genießen. Du kannst weder laufen noch ins Wasser gehen. Für dich ist der Drops doch hier gelutscht!"
"Aber das heißt doch nicht, dass ihr deswegen - wegen mir - auf alles verzichten müsst. Wie unfair wäre das denn bitte?"
Ich hörte den beiden erstmal weiter aufmerksam zu und wartete darauf, ob ich auch noch nach meiner Meinung gefragt werden würde.
"Aber ich habe keine große Lust auf Unternehmungen, wenn du nicht dabeisein kannst", setzte Dave seine Einwandsammlung fort. "Wir sind hergekommen, um so viel Zeit wie möglich zusammen zu verbringen. Durch mein Studium kommt ihr beide regelmäßig viel zu kurz. Ich möchte auf jeden Fall dann hier bei dir bleiben. Ansonsten ergibt es für mich keinen Sinn, den Urlaub fortzusetzen."
Dave ergriff ihre Hand und hauchte einen zarten Kuss auf ihren Unterarm. Stella lächelte, gerührt von seiner liebevollen Geste.
"Ich kann dich verstehen und das ist auch vollkommen in Ordnung, wenn du dich dafür entscheidest. Nur verlange bitte dann nicht von deiner Schwester, ebenfalls wie Pik sieben neben uns zu hocken." Aha, jetzt war ich dran!
Dave war etwas überfordert mit dieser Bitte und sah mich mit Augen wie Scheinwerfer an. Stella selbst zwinkerte mir zu und reckte kurz auffordernd das Kinn. Zeit, dass ich mich nun in die Unterredung einbrachte.
"Stella hat Recht", bestätigte ich. "Die letzten Tage haben doch wunderbar gezeigt, dass ich auch allein zurechtkomme. Ich habe nette Bekanntschaften mit Menschen gemacht, die hier zuhause sind oder sich zumindest gut auskennen. Mit ihnen kann ich die Gegend hier erleben und eine gute Zeit haben. Auch wenn ihr nicht dabeisein könnt."
Naja, waren wir ehrlich. Auf einem ausgedehnten Date mit Dion oder Angelo wollten sie auch garantiert nicht dabeisein, ganz zu schweigen davon, dass ich Anstandswauwaus brauchte. Aber wenn ich die beiden nun nicht bis ins letzte Detail in die ganzen Angelegenheiten einweihen musste, umso besser. Stella würde ich später für ihr Vertrauen belohnen und ihr alles erzählen, mein Bruder würde sich das erst noch verdienen müssen.
"Ich weiß nicht", meine Dave zögernd. "Mir wäre es lieber, wenn du auch bei uns bleiben würdest, Franka." Stella öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch meine Hand krachte zuerst auf den Tisch. Ich war stinkesauer und mein Geduldsfaden war dünn wie eine Seidenstrumpfhose.
"Dave, verdammt noch mal, es reicht! Ich will nicht mehr länger hinnehmen, dass du dich so über mich stellst und meinst, sämtliche Entscheidungen für mich treffen zu können."
"Ich will dich doch nur beschützen, Schwesterherz!"
Ich nickte von Ironie getrieben. "Ja, richtig. Und ich möchte, dass du mich nicht länger einsperrst. Damit hilfst du niemandem, weder dir noch mir. Ich bin vierundzwanzig Jahre alt und es wird Zeit, dass ich mich auch wieder so verhalten kann."
Dave atmete tief durch und trank von seinem Wein in der Hoffnung, dass darin die Lösung lag. Irgendwie klappte das aber nicht. "Vertrau mit doch einfach, Franka, und bleib bei uns, wo es sicher ist."
"Nicht, solange du mir nicht vertraust. Das ist keine Einbahnstraße, Dave." Ich seufzte, denn mir war klar, dass ich ihn mit meiner nächsten Aussage sehr verletzen würde. Aber ich sah keinen anderen Weg, wenn sich an seiner Sicht etwas ändern sollte. "Und wie sicher es hier wirklich ist, haben wir ja heute bei Stella gesehen." Alle beide rissen nun die Augen auf und schnappten nach Luft. Treffer versenkt!
Eine unerträgliche Weile lang herrschte ohrenbetäubende Stille. Mir kullerte eine Träne über die Wange, denn mir tat es weh, dass ich so mit meinem Bruder geredet hatte. Ihn zu verletzen war das Letzte, was ich wollte, weil er es nicht verdient hatte. Allerdings ertrug ich es nicht länger, wie er aus seiner Sorge und Angst heraus mit mir umging und verspürte immer mehr den Drang, aus diesem goldenen Käfig auszubrechen. Ich hoffte nun, dass es mir gelungen war, ohne Schaden zwischen uns anzurichten.
Ich erhob mich, trat von hinten an meinen Bruder heran und schlang ihm die Arme um den Hals. Er ergriff sie sofort, als hätte er darauf gewartet.
"Es tut mir Leid...", begann ich, doch er schüttelte kräftig den Kopf. "Muss es nicht", erwiderte er und wirkte seltsam beschämt. "Offensichtlich hatte ich keine Ahnung, was in dir vorging. Es ist gut, dass du es nun ausgesprochen hast." Erleichtert drückte ich ihm einen dicken Schmatzer auf die Wange. "Wir haben uns versprochen, dass wir uns immer alles sagen können", redete er weiter. "Das soll auch so bleiben."
"Dann vertraust du mir nun?", fragte ich zuversichtlich. "Muss ich mich nicht neben euch festkleben?"
Dave lächelte und blickte nun auch seine Freundin an, die sichtbar erleichtert über unsere schnelle Versöhnung war. "Nein, musst du nicht. Aber das Handy..."
"... habe ich immer dabei", vollendete ich seine Schallplattenleier. "Versprochen! Ich hab dich lieb, großer Bruder."

 



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