Begleite Fortsetzungsromane bei ihrer Entstehung!
 
< 6 Begegnung


7 Kompliziert

 Stella hatte tatsächlich Wort gehalten und ihren Lippenstift herausgerückt. Ich liebte diese Farbe. Irgendwas Undefinierbares zwischen Rot und Magenta mit metallischem Finish und feinsten Glitzerpartikeln. Dass er teuer gewesen sein musste, war durch seine luxuriöse Wirkung mehr als offensichtlich. Den Rest meines Make Ups hielt ich deshalb dezent und griff lediglich auf etwas Wimperntusche und Rougepuder zurück.

Ich hatte mich dazu entschlossen, alles mit meinem kleinen Taschenspiegel im Zelt zu erledigen. Die Lust, ins Badehaus zu gehen und möglicherweise erneut auf die eingebildete Tussi zu treffen, war verschwindend gering gewesen.
Inzwischen war ich fertig mit meiner Kriegsbemalung und nickte mir selbst anerkennend im Spiegel zu. Mir vor dem Urlaub stundenlang Schminktutorials im Internet anzusehen, hatte sich also gelohnt. Ich liebte die Effizienz: mit wenigen Kniffen einen hohen Effekt erzielen. So wie Stella gefühlt einen ganzen Rollkoffer nur für Kosmetik mitgenommen hatte - allein bei dem Gedanken daran schüttelte ich schon den Kopf.
Zügig kroch ich hinüber zur anderen Seite des Zelts und begann, meine Kleiner durchzuwühlen. Endlich fand ich, was ich gesucht hatte, zog es vorsichtig hervor und schlüpfte hinein.
Heute Abend sollte es ein weißes Seidenkleid sein, das sich eng an meinen Körper schmiegte. Dünne Träger und ein kleiner Wasserfallausschnitt sowie eine Raffung am Bein, die bis zur Hüfte hinaufreichte, vermittelten zarte Eleganz und einen Hauch von Erotik. Dazu wählte ich erneut die Wedges, die sich gestern schon bewährt hatten.
Auch Stella und Dave hatten sich in Schale geworfen und so kamen wir gutgelaunt und entspannt am großen Pool an. Während sich die beiden sofort einen kleinen runden Tisch in der Nähe des Buffets schnappten, blieb ich erstmal wie festgeklebt stehen und ließ die unglaublich schöne Szenerie auf mich wirken.
"Romantische Nächte" - der Veranstalter hatte wirklich nicht zu viel versprochen. Auf der großen Wiese, wo sonst tagsüber Liegestühle und große Handtücher der Badegäste verteilt waren, befanden sich nun runde, mit weißen Tischtüchern eingedeckte Tische und dazu Stühle mit Stuhlhussen. In der Mitte verströmten einzelne Hyazinthen in hohen Vasen einen betörenden Blumenduft und kleine Teelichter spendeten warmes und dezentes Licht. Außen um die Wiese spannten sich riesige Lichterketten mit der Optik von nostalgischen Glühbirnen, die das üppige Buffet beleuchteten. Die obligatorische Bar für die Cocktails zur späten Abendstunde war direkt neben dem Pool eingerichtet worden, der - zumindest für mich - hier der eigentliche Blickfang war.
Auf der Wasserfläche trieben langsam und gemütlich schaukelnd Unmengen von Schwimmblumen in allen erdenklichen Farben und suchten sich ziellos ihren Weg zwischen den blumenförmigen Schwimmkerzen hindurch. Wahrscheinlich würde ich später nicht widerstehen können, mich an den Rand zu setzen und meine Füße ins Wasser zu tauchen. Aus den Musikboxen rundherum tönte leise Cool Jazz, was eine beruhigende Wirkung auf mich hatte und der gesamten Atmosphäre einen angenehmen luxuriösen Touch verlieh.
Na gut, war ganz okay hier. Ich hatte keine Lust mehr, auf Stella und Dave sauer zu sein, weil sie mich als Single hergeschleppt hatten. Ich beschloss, dem Ganzen eine Chance zu geben.
"Guten Abend, Franka! Wie schön, dich hier zu sehen."
Oh Gott, die Stimme kannte ich! Aus tausenden hätte ich sie wiedererkannt, denn dieser tiefe sonore Unterton hatte mich gestern schon aus der Fassung gebracht und mir die Entenpelle schlechthin verpasst. Ich riss die Augen auf und fuhr herum in die Richtung, aus der ich angesprochen worden war. Und richtig!
"Dion...", hauchte ich. Sofort schossen mir wieder die Bilder und Gefühle durch den Kopf, als ich in seine Arme gefallen war und er mich so sanft an den Lippen berührt hatte. Unterbewusst fuhr meine Zungenspitze einen Teil der Linie nach, die Dions Daumen tags zuvor gezogen hatte. In Dions stahlgrauen Augen zuckten mächtige Blitze und er räusperte sich dezent mit dem Handrücken vor dem Mund, ehe er weitersprach.
"Entschuldige bitte", begann er höflich. "Ich wollte dich nicht erschrecken." Er lächelte, sodass sich ganz feine Fältchen um seine Augenwinkel zogen und neigte leicht den Kopf zur Seite.
"Hast du nicht", erwiderte ich und bemühte mich darum, mein Gleichgewicht zu bewahren. Aber den winzigen Schritt zur Seite hatte er gleich registriert und bot mir seinen Arm.
"Dein Tisch?", erkundigte er sich. Erleichtert hakte ich mich unter und wunderte mich direkt, wie seltsam vertraut sich das anfühlte. Als wäre es bereits das hundertste Mal und nicht das erste, dass wir so zusammen irgendwohin gingen.
"Dort drüben." Mit einer kleinen Handbewegung deutete ich auf Stella und Dave, die gerade mit großbauchigen Weingläsern auf den Abend anstießen. Dion nickte einmal und geleitete mich dann zum Tisch, langsam und darauf bedacht, dass ich mit meinen hohen Schuhen nicht auf der unebenen Wiese umknickte.
Stella und Dave hatten ihre Gläser inzwischen abgestellt und erwarteten uns mit großen Augen und gerunzelter Stirn. Offensichtlich würd ich gleich nach allen Regeln der Kunst verhört werden, zumindest von meinem ahnungslosen Bruder. Ich fuhr meine inneren Schutzschilde hoch.
Dion zog den Stuhl neben Stella einige Zentimeter zurück und mit etwas verlegenem Blick nahm ich darauf Platz. Erst als ich sicher saß, ließ er meine Hand los. Alles in meiner trockenen Kehle rief nach Erlösung, sodass ich mir gleich die sprudelnde Wasserfalsche schnappte und mein langstieliges Glas vollgoss.
"Guten Abend zusammen", begrüßte Dion nun auch die anderen Gäste, die rundherum an den anderen Tischen saßen. "Mein Name ist Dion und ich bin heute Abend Ihr Gastgeber."
What?
Das hatte ich nicht kommen sehen und verschluckte mich peinlich geräuschvoll an meinem Wasser. Verdammte Kohlensäure!
Während Dion noch weiterredete und irgendwas von einem romantischen Abend und exklusiven Essen faselte, klopfte Stella mir leicht auf den Rücken und reichte mir eine blumige Serviette, die ich dankbar annahm.
Der ganze Aufzug hier, das Buffet, die unglaubliche Dekoration, die Musik - all das war Dions Ding? Was in aller Welt hatte er denn nur hier mit dem Campingplatz zu tun? Und warum bewertete Angelo Dions Leben als kompliziert? Wie passte da noch der Sportwagen dazu, der weitaus mehr versprach, als dass dieser Mann nur durch den nächsten Winter kommen würde? Und warum zeigte er zudem so großes Interesse an mir, einer normalen jungen Frau, die weitaus mehr mit sich herumschleppte als einen kleinen süßen Spleen im Kopf?
Wer war er wirklich?
Ich würde viel Arbeit zu tun haben, wenn ich all diese Fragen beantworten wollte. Und wie ich das wollte! Das schwor ich bei jedem Whisky, den ich bisher gesoffen hatte.
Dion hatte seine Begrüßung beendet und mischte sich nun unter die Gäste, die aufstanden und sich am Buffet bedienten oder an der Bar mit einem Aperitif beginnen wollten. Der perfekte Zeitpunkt für Dave, mit seiner brüderlichen Vernehmung zu beginnen. Irgenwie hatte ich plötzlich total Bock auf Whisky...
"Woher kannte er dich? Warum konnte er dich vorhin so gezielt ansprechen, Franka?", begann Dave und ignorierte die Hand, die Stella ihm in beschwichtigender Absicht auf seinen Unterarm legte.
Ich nahm noch einen weiteren, diesmal bewusst kleinen Schluck von meinem Wasser. "Wir haben uns gestern zufällig im Restaurant getroffen, als ihr Poolbilliard gespielt habt", erzählte ich gehorsam und wahrheitsgemäß.
"Was weiß er von dir?", setzte Dave seine Befragung fort und erntete den Langsam-reicht-es-Blick von seiner Freundin.
"Nicht viel", erwiderte ich weiter brav. "Wir sprachen darüber, was wir gerne so trinken und dass ich mit euch hier im Urlaub bin." Außerdem hat er meine Haut zum Vibrieren gebracht und dafür gesorgt, dass ich das weder vergessen kann, noch darauf verzichten will, ergänzten meine Schmetterlinge im Bauch, die wohl LSD geschluckt haben mussten.
Dave setzte schon an, um mich noch weiterzulöchern, doch Stella, die wohl Angst hatte, dass ich als schweizer Käse enden würde, sprang entschlossen auf und zog ihren Freund mit sich. "Ich hab Hunger", verkündete sie. "Komm, wir schauen mal, was das Buffet so kann." Mit diesen Worten umfasste sie energisch Daves Schultern und schob ihn vor sich her zu den dampfenden Köstlichkeiten.
Ich war ihr unglaublich dankbar, dass sie nun diese geschwisterliche Odyssée unterbrochen hatte, aber dennoch war mir der Appetit vorerst vergangen. Ich würde es an der Bar zunächst mit einem alkoholfreien Cocktail versuchen, der hoffentlich ein wenig meine Nerven beruhigen konnte.
Nach einer Weile stocherte ich gedankenversunken mit dem Metallstrohhalm im Rohrzucker am Boden meines Ipanemas herum, als mich eine Hand sanft an der Schulter berührte. Ich blickte auf und erkannte erneut Dion, der sich einen kräftig torfigen Whisky orderte und sich dann neben mich auf einen Hocker schob. Erst jetzt nahm ich mir bewusst die Zeit, ihn genauer anzusehen.
Heute Abend hatte er sich für eine edle schwarze Stoffhose mit dazu passendem Gürtel und klassischen Lederschuhen entschieden. Der optische Akzent lag auf seinem Hemd, auf dessen schwarzer Grundfarbe ein elegant glänzendes Jacquardmuster hervorstach. Die langen Ärmel hatte er zweimal aufgeschlagen, sodass sein Look bequemer und weniger förmlich wirkte.
Zum ersten Mal fielen mir seine Hände auf, als er dankend nach dem ihm angereichten Whiskyglas griff. Sie wirkten stark und breit, die Handflächen von feinen Maserungen des Lebens durchzogen, die Haut auf dem Handrücken dagegen fein und zart ohne jede sichtbare Pore. Welche Geschichten diese Hände wohl erzählen könnten? Welche davon würde ich wohl gerne hören und welche nicht? Und von welchem Teil würde ich später selbst gerne erzählen können?
Okay, vielleicht war das jetzt irgendwie merkwürdig, aber ich fand seine Hände unglaublich sexy! So what, musste ja niemand wissen.
Dion suchte meinen Blickkontakt und hielt mir seinen Drink zum Anstoßen hin. Etwas zu heftig schepperte ich mit meinem Ipanema gegen das Kristallglas und nahm dann einen großen Schluck aus meinem Trinkhalm. Elegant war eindeutig nicht mein Ding!
"Wie gefällt dir die Dinnerparty?", erkundigte sich Dion im mühelosen Plauderton und wandte sich auf dem Barhocker komplett meiner Wenigkeit zu, einen Arm lässig auf die Bar gelehnt. Seine Coolness wirkte schon fast frech und meine Schmetterlinge spielten Formel Eins. Auf LSD Rennen fahren konnte nicht gutgehen, oder?
Verlegen stellte ich meinen Cocktail zur Seite und bereute es direkt, weil meine Finger nun irgendwie übrig waren. "Ich finde es wunderschön hier", gab ich offen zu.
Dion nahm wahr, dass ich meinen Blick erneut umherschweifen ließ und schien sich ehrlich zu freuen, dass es mir gefiel.
"Deine Meinung ist mir wichtig, weil ich das Gefühl habe, dass du einen feinen Sinn für Raum und Atmosphäre hast", beantwortete Dion meine unausgesprochene Frage. Wie zum Teufel machte er das immer?
"Du sprichst mit deinen Augen", ergänzte er. Ich lächelte und fühlte mich auf eine lustige Weise ertappt.
"Entschuldige, ich möchte dir keine Angst einjagen."
Ich schüttelte den Kopf und nahm seinen Blickkontakt wieder auf. "Tust du nicht. Ich finde das sehr interessant und glaube, ich könnte durch dich sehr viel über mich selbst lernen."
Dion hob erstaunt die Augenbrauen. Seinen Whisky schien er völlig vergessen zu haben. "Möchtest du das denn? Bist du auf der Suche nach irgendetwas?"
Ich hob die Schultern und holte mir wieder meinen Ipanema heran. "Sind wir das nicht alle irgendwie?", gab ich die Frage zurück und löste bei Dion scheinbar ernsthaftes Nachdenken aus. Er spielte mit seinem Drink und kniff kurz die Augen zusammen, nur für den Hauch einer Sekunde.
"Franka", begann er, bevor er mich wieder ansah. Wenn er meinen Namen aussprach, klang es, als würde er ein emotionales Gedicht vorlesen. "Bitte erzähle mir mehr über dich."
Seine Augen schienen auf den Grund meiner Seele zu blicken und mich zu bitten, ihm zu vertrauen. Und vielleicht täuschte ich mich, aber irgendwie riefen sie auch nach Hilfe. Ich musste herausfinden, warum und was sich hinter seiner festen Mauer ums Herz herum verbarg. Da war etwas.
Möglicherweise setzte ich mich damit in die Nesseln, aber ich entschied mich dafür, den Spieß umzudrehen.
"Du zuerst", versuchte ich mein Glück.
Um Dions Mundwinkel zuckte es verdächtig und seine kleinen Fältchen um die Augen verrieten, dass ich wohl den richtigen Nerv getroffen hatte.
"Oh, Franka, was mache ich nur mit dir", seufzte er und trank von seinem Whisky. Ich hatte den plötzlichen Drang, meine Beine übereinanderzuschlagen, weil es in dieser Gegend auf einmal heftig kribbelte. Alter Schwede, meine Schmetterlinge mussten ganz schnell auf Entzug!
Dion hielt kurz inne mit seinem Drink und ließ seinen Blick auf meinen Lippen ruhen. "Fantastische Farbe übrigens", kommentierte er und stellte dann sein Glas weg.
Dieses Mal kussecht, gab mein Gehirn zurück. Ach, hallo, dich gibt es auch noch? Na fein, dann walte deines Amtes.
"Was genau machst du hier?", erkundigte ich mich. "Was hast du mit dem Campingplatz zu tun?"
Dion nickte, um zu signalisieren, dass er die Frage verstanden hatte, leerte dann seinen Drink und bestellte ein großes Glas Wasser sowie für mich Ipanemanachschub. "Ich bin Teilhaber und Geschäftsführer des Restaurants. Ist zwar eigentlich nicht mein berufliches Feld, aber ich helfe damit meinem Bruder", erzählte Dion.
"Deinem Bruder?", hakte ich nach.
"Ja", bestätigte er. Der Barkeeper stellte angemessen diskret die bestellten Getränke vor uns ab und ich rührte wieder zufrieden im Rohrzucker.
"Aaron ist Koch. Es war immer sein Traum gewesen, irgendwo am Meer sein Restaurant zu führen. Wo nur entspannte Menschen sind, die sich Zeit nehmen wollen, seine kulinarische Kunst hier zu genießen. Wo er sich frei entfalten und Dinge ausprobieren kann, die so im stressigen Stadtbetrieb eben nicht möglich sind."
Ich nickte und rührte weiter. "Das kann einen kreativen Kopf kaputtmachen", sinnierte ich.
Dion nickte wissend und ich ahnte, dass Aaron damit Bekanntschaft gemacht hatte. "Aaron hatte nicht die Mittel, sich seinen Traum allein zu erfüllen, also bin ich mit eingestiegen."
"Dann habt ihr ein gutes Verhältnis", schlussfolgerte ich.
Dion stand von seinem Hocker auf und breitete seinen Arm für eine coole Umarmung unter Brüdern aus. "Frag ihn, da kommt er gerade. Aaron und Dion hauten sich auf den Rücken, dass es nur so krachte, und beide versuchten vergebens, ein Husten zu unterdrücken.
"Franka, Aaron! Aaron, Franka", stellte Dion uns unkompliziert vor und wedelte dabei mit einer Hand zwischen uns hin und her.
"Freut mich sehr, Franka." Aarons Stimme war der von Dion erschreckend ähnlich, wirkte aber an sich etwas ruhiger und eher defensiv. Ich ergriff seine dargebotene Hand, die er angenehm fest drückte... und irgendwie ein verdächtiges Weilchen zu lang festhielt. Wusste er irgendwas? Hatte Dion es für notwendig erachtet, von mir zu erzählen? Oder funktionierte der Campingplatzfunk eine Spur zu gut? Was es auch sein mochte, weiter kam ich jedenfalls nicht. Denn Aaron ließ meine Hand wieder los und die merkwürdige Stimmung, die über uns drei geschwebt hatte, war verflogen. Ob Dion sie auch bemerkt hatte?
Die beiden Brüder tauschten noch Kleinigkeiten zur Organisation aus, dann wandte sich Aaron wieder dem Buffet zu. Ich mochte ihn auf Anhieb. Das Verhältnis zwischen den beiden schien nicht umsonst so vertrauensvoll und herzlich zu sein. Das hatte sicher seine Gründe.
"Du würdest alles für deinen Bruder tun, nicht wahr?"
Dion nickte und nahm wieder auf seinem Barhocker Platz. "So wie du für deinen", mutmaßte er und lag damit natürlich goldrichtig. Die Bruderliebe teilten wir also.
In dem Moment schossen mir Angelos Worte wieder in den Sinn und ich wollte jetzt eine Antwort darauf haben.
"Dion, kann ich dich etwas fragen?", begann ich und rührte verräterisch heftig in meinem halbvollen Cocktail herum.
"Alles", antwortete er und umfasste mit einer Hand die meine, die den Metallhalm gefühlt in einen Stabmixer verwandeln wollte. Diese Geste half zwar nicht, klar im Kopf zu werden, dennoch gab ich mir selbst eine Minute, um zu fühlen, wahrzunehmen und zu verstehen, was er mir gerade mit dieser Berührung schenkte.
Ein seltsam intimes und wohltuendes Gefühl der Ruhe umgab mich - wie eine wärmende Jacke im scharfen Wind an der Nordsee. Augenblicklich unterbrach ich das wilde Rühren und blickte Dion peinlich ertappt an.
"Besser?"
Ich nickte und ließ es zu, dass er mir mit seiner freien Hand den Trinkhalm aus der Hand zog und neben das Glas legte. Dann hielt er sanft meine Unterarme fest und drehte mich zu sich, sodass wir uns direkt anblicken konnten. Nichts stand mehr zwischen uns und ich fand den Mut, direkt drauflos zu quatschen.
"Ich habe mich letztens mit Angelo unterhalten, den du sicherlich auch kennst." Erwartungsvoll sah ich Dion in die Augen und bemerkte, wie sie sich ein wenig verdunkelten. Aber er sagte nichts und hörte mir weiter zu. "Er meinte zu mir, du hättest ein kompliziertes Leben und ich hatte den Eindruck, ihm gefällt nicht, dass wir miteinander sprechen. Was soll ich davon halten, Dion?"
Er blickte hinunter auf meine Hand, die er noch immer festhielt, lächelte diskret und nickte wissend. Dann schaute er mir wieder in die Augen. Mich beeindruckte, dass er so offen und direkt den Blickkontakt suchte und gab mir die Gewissheit, dass er nicht vorhatte, mir etwas zu verheimlichen. Was auch immer er mir sagen würde, es würde die Wahrheit sein.
"Ich habe ein kompliziertes Leben, weil ich mich dafür entschieden habe, meine Träume wahrzumachen. Damit es am Ende einfacher sein kann. Aber bis dahin ist es ein langer und harter Weg. Für Menschen, die sich anders entschieden haben, kann das befremdlich wirken. Und kompliziert."
Er zwinkerte und ließ dann einen Daumen über meinen Handrücken kreisen. Meine Augen verfolgten seine Berührung und ich genoss es so sehr. Ich fühlte mich im Ganzen gesehen und verstanden als eine lebenshungrige, neugierige Frau, die mehr zu bieten hatte, als es auf den ersten Blick den Anschein machte.
"Franka, ich könnte dir jetzt so viel dazu sagen, aber du musst dir dein eigenes Bild machen, um das zu verstehen", sprach Dion weiter.
Ich ahnte, worauf das hinauslaufen sollte und dieses Mal entschieden sich meine Schmetterlinge dazu, das Silvesterfeuerwerk vorzuverlegen. "Was meinst du damit?" Ich wollte wirklich ganz sicher sein, dass meine Vermutung auch stimmte.
"Verbringe einen Tag mit mir", bat Dion. "Vielleicht auch zwei. Dann siehst du alles, was du dir zu sehen wünschst."
Ich schluckte nervös. Meine Idee war richtig gewesen und alles in mir brannte vor Neugier auf das, was er mir gerade zwischen den Zeilen versprochen hatte. Ich dachte an meinen Bruder, der aus liebender Sorge um seine Schwester alle möglichen Gefahren im Keim zu ersticken versuchte. Mich mit Dion in einem fremden Land allein auf Tour zu lassen, das konnte ich mir getrost abschminken.
Aber ernsthaft - ich wollte mehr vom Leben und nicht mehr länger im goldenen Schutzkäfig sitzen. Ja, auch ich hatte Ängste, manchmal Panik. Dann schnürte es mir die Luft ab und mein Herz rannte wie bei Olympia. Aber verdammt, ich wollte endlich lernen, damit umzugehen! Mehr über mich herausfinden, mich kennenlernen und das Leben genießen. Warum auch immer, aber ich war fest davon überzeugt, dass Dion dafür der richtige Begleiter war.
"Okay", stimmte ich zu. Und jetzt gingen meine Schmetterlinge Samba tanzen.


 

8 Chance >