Begleite Fortsetzungsromane bei ihrer Entstehung!
 

1 Die Einladung

 Melody seufzte leise und klappte ihren Laptop zu, der vom Offenhalten der vielen Tabs und Fenster mittlerweile warmgelaufen war. Das gute Stück war nicht mehr das neueste Modell, würde aber sicherlich noch bis zum Abschluss ihrer Masterarbeit durchhalten. Für alle Fälle sicherte Melody ihre Fortschritte immer wieder auf einem Stick, damit kurz vor der Fertigstellung nicht doch noch ein Drama passierte.

So lautlos wie möglich versuchte sie, den Netzstecker aus der Steckdose an ihrem Sitzplatz zu ziehen, den sie sich für heute Nachmittag in der Unibibliothek gebucht hatte. Der Lesesaal hatte sich inzwischen ziemlich gelehrt, denn nach 18 Uhr hatten die meisten Studenten Besseres vor, als sich hinter ihren Büchern und Bildschirmen zu verkriechen. Melody liebte diese Zeit zum Lernen, denn dann störte sie niemand durch unnötiges Hin- und Hergerenne und nerviges Türenschlagen. Die Klimaanlage gab ein leises beruhigendes Summen von sich und versprühte eine eintönige und absolut langweile Stimmung. Das war die perfekte Umgebung, um sich lange mit anstrengenden Definitionen und Fußnoten zu beschäftigen.
Ein Blick auf die Uhr hatte sie allerdings hochschrecken lassen. Es ging mittlerweile auf 20 Uhr zu und die Busse nach Hause fuhren jetzt nur noch halbstündlich. Wenn sie sich jetzt nicht beeilte, dann würde Teo wirklich sauer auf sie sein.
Melody hatte früh geheiratet und war mit ihrem Mann in eine kleine Dreizimmerwohnung gezogen, die zwar nicht sonderlich schön, dafür aber verhältnismäßig günstig war. Die Möbel hatten sie aus ihren Singlewohnungen zusammengewürfelt, sodass sie zwar nicht perfekt zueinander passten, aber durchaus ihren Dienst erfüllten. Sie würden einfach nach und nach, wenn die Finanzen es hergaben, die alten Dinger ersetzen und dabei einen neuen geschmackvollen Einrichtungsstil entwickeln.
So zumindest der Plan.
Darüber, dass ihr gemeinsames Finanzkonzept einfach vorne und hinten nicht stimmte und sie immer tiefer in die Miesen rutschten, dachte sie lieber nicht nach.
Melody stemmte die schwere Eingangstür der Bibliothek auf und wurde vom eiskalten Dezemberregen überrascht. Natürlich hatte sie heute Morgen nicht daran gedacht, einen Schirm mitzunehmen. Wobei der bei dem starken Wind hier oben auf dem Berg, wo die Universität errichtet worden war, sowieso nicht viel gebracht hätte. Sie rannte über den Zebrastreifen und sprang in den Bus, der gerade in dem Moment vor dem Bibliotheksgebäude anhielt. Mit großen Schritten steuerte sie einen Sitzplatz ganz hinten in der Nähe der viel zu hoch aufgedrehten Heizungen an, bevor der Busfahrer das Gaspedal durchtreten konnte. Vielleicht sollte ihm mal jemand sagen, dass man mit Bussen keine Rennen fahren konnte!
In Scheibenwischermanier verschaffte Melody sich mit ihrem Jackenärmel Sicht aus dem Fenster. Es regnete mittlerweile in Strömen und sie verspürte so gar keine Lust, gleich von der Bushaltestelle noch den Anstieg nach Hause zu unternehmen. Aber sie hatte keine Wahl. Teo würde sich garantiert nicht nochmal aus der Wohnung bequemen, um sie mit dem Auto oder einem Schirm abzuholen. Apropos Teo! Nervös riskierte Melody einen Blick auf ihr Handy, das sie während der Arbeit in der Bibliothek auf Flugmodus gestellt hatte.

Teo, 18:23 Uhr
Wann kommst du?

Teo, 18:35 Uhr
Hallo? Eine Antwort wäre mal nett.

4 verpasste Anrufe von Teo

Teo, 18:46 Uhr
Wofür hast du eigentlich ein Handy????

6 verpasste Anrufe von Teo

 


Ihr wurde schlecht.
In ihrem Kopf spielten sich in Sekundenschnelle mögliche Szenarien ab, wie sie dem bevorstehenden Streit aus dem Weg gehen konnte. Spontan eine Nacht bei ihrer Freundin Eda zu verbringen, wäre definitiv eine Möglichkeit. Da konnte sie zu jeder Tages- und Nachtzeit auftauchen. Das würde allerdings die Situation lediglich nach hinten verschieben und eher noch verschlimmern. Ihr blieb also nichts anderes übrig, als sich nach einem super anstrengenden Tag auch noch auf eine lange und nervenaufreibende Diskussion mit ihrem Mann einzulassen. Mal wieder!
Melody steckte das Smartphone in ihre Gesäßtasche und kramte im Rucksack nach ihrem Haustürschlüssel. Sie wollte jetzt so wenig Zeit wie möglich verlieren und schnell die Wohnung betreten, um das Ausmaß des Dramas möglichst kleinzuhalten.
Der Anstieg von der Bushaltestelle bis zum Haus kam ihr heute besonders lang vor. Melody fluchte, sprach laut vor sich hin, was sie gleich sagen wollte und spürte gar nicht die dicken Regentropfen auf ihrem Rücken und ihren Schultern.
Im Haus nahm sie den alten rappeligen Aufzug, der angeblich regelmäßig gewartet wurde und trotzdem schon mehrmals ungebremst in den Keller gerummst war, betete, dass sie im obersten Stock ankam und seufzte erleichtert, als sich die kleinen Türen quietschend aufschoben. Als sie den Schlüssel im Schloss der Wohnungstür herumdrehte, konnte sie schon den lauten Fernseher aus dem Wohnzimmer hören und schöpfte Hoffnung, dass Teos Laune sich inzwischen etwas gebessert hatte.
"Hallo Schatz, da bin ich! Entschuldige, ich habe in der Bibliothek mein Handy auf Flugmodus gestellt."
Melody stellte ihren Rucksack im Flur ab und hängte die nasse Jacke auf den großen Garderobenhaken, dann ging sie ins Wohnzimmer und setzte sich auf die Couch neben ihren Mann. Teo starrte geradeaus in den Fernseher und würdigte sie keines Blickes.
"Willst du mich nicht begrüßen? Wie war dein Tag?" Das konnte ja was werden! Verzweifelt blickte sie zwischen Teos Gesicht und dem Fernseher hin und her.
"Schön, dass du auch endlich mal kommst", knurrte er. "Scheinbar bedeute ich dir nicht genug, als dass du den Abend mit mir verbringen möchtest, geschweige denn mal auf dein Handy schaust, ob ich dir nicht was geschrieben habe."
Melody seufzte und legte ihre Hand auf Teos Bein. "Schatz, du weißt genau, dass mir der Abend mit dir wichtig ist. Aber wir haben auch darüber gesprochen, dass die Abgabefrist für meine Masterarbeit in zwei Wochen endet und ich jede Minute brauche, um rechtzeitig fertigzuwerden."
"Dann hättest du eben besser planen müssen. Ich verstehe einfach nicht, wieso du diese blöde Masterarbeit über unsere Beziehung stellst. Scheinbar liebst du dein Studium mehr als mich."
Mit diesen Worten blickte er wieder geradeaus und starrte weiter in den Fernseher. Melody wusste, dass in dem Moment die Unterhaltung erstmal beendet war und sie später noch einen Versuch unternehmen musste, um das Missverständnis auszuräumen. Ihrer Erfahrung nach konnte das durchaus die halbe Nacht dauern.
Mit einem tiefen Seufzer stand sie auf, um sich ein heißes Entspannungsbad einzulassen. Der prickelnde Schaum würde sie mit beruhigendem Knistern umhüllen und der himmlische Duft nach Lavendelfeldern würde ihr jetzt guttun. Auf dem Weg ins Bad fiel ihr ein seidig glänzender dicker Briefumschlag auf dem Wohnzimmertisch auf, der mit tiefblauer Tinte an sie adressiert war. Sie entschied sich dazu, ihn mit in die Wanne zu nehmen und dort zu lesen. Melody ahnte, von wem der Brief kam, noch ehe sie den Absender überprüfte, denn nur eine einzige Person aus ihrem Freundeskreis schrieb so fein, dass ihre Feder einem Märchen hätte entspringen können.
Nachdem Melody seufzend in das heiße Badewasser geglitten war und ihren Muskeln einen Moment der Entspannung gegönnt hatte, griff sie nach dem Umschlag und zog ein sorgfältig gefaltetes, dickes Briefpapier heraus.

Liebe Melody,
es ist wieder soweit! Weihnachten steht vor der Tür und wir wollen es gemeinsam mit dir auf Hardon Abbey feiern. In unserem Salon wartet schon ein traumhafter Weihnachtsbaum auf dich, wir werden gutes Essen genießen und zusammen zu Klaviermusik tanzen. In unseren oberen Stockwerken haben wir ein großzügiges Gästezimmer für dich hergerichtet, damit du eine unbeschwerte Woche bei uns genießen kannst. Abschluss der Feierlichkeiten wird das große Feuerwerk zum Jahresende sein. Wir freuen uns ganz besonders auf dich!
Liebe Grüße
Soraya & Jan

 


Melody überlegte hastig und ihr Herzschlag beschleunigte sich vor Aufregung.
Oh ja, dieses Jahr wollte sie unbedingt ihre Freundin Soraya in England besuchen! Seit sie sich mit ihrem Mann Jan in der Nähe von London auf diesem atemberaubenden Anwesen niedergelassen hatte, war es ihr noch nicht gelungen, einmal nach Hardon Abbey zu reisen und sich alles mit eigenen Augen anzusehen. Sie hatte sich unglaublich für Soraya gefreut, als sie von deren Erbschaft erfahren hatte und sie sich damit endlich ihren Lebenstraum hatte erfüllen können.
Es war einfach höchste Zeit! Was war sie denn sonst für eine Freundin, wenn sie sie dieses Jahr erneut im Stich lassen würde? Außerdem wäre es die perfekte Gelegenheit, mit ihr zusammen die fertiggestellte Masterarbeit zu feiern. Morgen würde sie Soraya anrufen und ihr zusagen. Von einem Weihnachtsfest in England würde sie dieses Jahr niemand abbringen!
Melody legte den Brief zur Seite, sank ein Stückchen tiefer in die Wanne und begann zu träumen...

 



2 Damals wie heute?